Wie verändere ich meine Ausstrahlung? – Verantwortung übernehmen statt in Scham versinken

Lesedauer 6 Minuten

Die Crux mit der eigenen Energie: Zwischen Verantwortung, Scham und Verletzlichkeit

Vorschau: Dieser Artikel zeigt, wie Intention und Wirkung in Beziehungen auseinandergehen können und warum es hilfreich ist, die eigene Ausstrahlung im Sinne von Trauma verstehen zu betrachten. Es geht um Verantwortung statt Schuld, um die Rolle des Nervensystems und darum, wie bewusste Präsenz und Verletzlichkeit echte Verbindung ermöglichen.

Eine der schwierigsten Lektionen, die ich in meinem persönlichen und beruflichen Leben (als Betroffener und Therapeut) lernen musste (und wahrscheinlich immer noch lerne), ist folgende:

Wir sind zu 100 % dafür verantwortlich, welche Energie wir in einen Raum bringen – und zwar unabhängig davon, was wir glauben auszustrahlen.

Hier liegt eine enorme Herausforderung: Wir können unsere Energie nicht ständig bewusst kontrollieren, weil vieles (oder das meiste) unbewusst geschieht. Und es ist natürlich auch überhaupt nicht sinnvoll und zielführend, unsere Energie kontrollieren zu wollen. Viel wichtiger ist es, unsere energetischen Zustände als das zu erkennen, was sie sind – im Sinne von Trauma verstehen, also Muster zu erkennen, statt sie kontrollieren zu wollen. Wenn wir bemerken, wie wir energetisch „aufgeladen“ sind, können wir besser einschätzen, was wir wirklich gerade aussenden – und wie sich das auf andere und deren Nervensystem auswirkt.

Doch was passiert, wenn meine Intention eine ganz andere ist als das, was beim Gegenüber ankommt?

Wenn Intention und Wirkung auseinanderklaffen

Wie erkenne ich, welche Energie ich ausstrahle?

Stell dir vor, ich formuliere nur „harmlos“ ein Bedürfnis oder einen Wunsch. Doch energetisch schwingt da vielleicht etwas ganz Anderes mit:

  • Passiv-aggressive Kritik
  • Eine unbewusste Forderung
  • Ein unterschwelliges „Du solltest dich gefälligst anders verhalten!“

Ich glaube jedoch fest daran, ich hätte lediglich mein Bedürfnis ausgedrückt. Im Gegenüber löst diese Energie womöglich Stress, Verteidigung oder Widerstand aus – und ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich fühle mich abgelehnt, nicht gesehen und unverstanden. Dabei übersehe ich meine eigene Verantwortung, nämlich dass ich möglicherweise genau diese Abwehrhaltung mit meiner Energie provoziere.

Die Ursache zu sein bedeutet jedoch nicht zwingend, schuld zu haben. Es gibt das verbreitete Missverständnis von „Schuld in Beziehung“ – in meiner Sicht geht es nicht um Schuld, sondern um Verantwortung.

Perspektivwechsel: Von der Scham ins Wohlwollen

Sich bewusst aus der Schamperspektive zu lösen und einen wohlwollenden, liebevollen Blick auf unser eigenes Verhalten zu werfen, war für mich persönlich eine meiner größten Herausforderungen. Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu begreifen, wie sehr meine unbewusste Ausstrahlung alte Wunden im Gegenüber berühren kann – und ich selbst in große innere Not und Verzweiflung geriet, weil ich partout nicht verstand, was eigentlich geschah. Ich bemühte mich doch so sehr – und dennoch scheiterte ich immer wieder. Es war eine unfassbare Frustration.

Mein Lehrer Krish hat es mir unzählige Male erklärt, und doch gab es einen Teil in mir, der sich rigoros dagegen wehrte, das anzunehmen. Für mich und viele andere Menschen war das jahrelang sehr schmerzhaft.

Besonders in Liebesbeziehungen ist es extrem herausfordernd, wenn wir unwissentlich etwas aussenden, das den anderen verletzt oder seine Verteidigungsstrategien aktiviert – denn gerade diesem Menschen möchten wir beweisen, dass wir ihn lieben und dass er liebenswert ist. Wir sehnen uns danach, von ihm wirklich gesehen zu werden.

Genau hier liegt die essentielle Einladung: zu erkennen, dass unsere noch nicht transformierte Trauma-Energie etwas im anderen auslöst, das für ihn schmerzhaft ist. Und es ist ein schmaler Grat zwischen dramatischem Selbstvorwurf (Scham-Trance) und echtem Wohlwollen. „Ich kann sehen, dass ich unbewusst etwas aussende, das dir weh tut. Ich will daran arbeiten, denn ich liebe dich und möchte deine Grenzen respektieren.“

Der nächste Schritt besteht darin, in der Partnerschaft ein gemeinsames Commitment einzugehen: „Wir wollen alles dafür tun, diesen Mechanismus zu erkennen und zu transformieren.“ Wenn wir uns gemeinsam darauf einlassen, können wir den Schritt von der Scham ins Wohlwollen machen und echten Kontakt herstellen.

Wie Scham statt Verantwortung alles verkompliziert

Ich konnte an mir selbst beobachten, dass eine solche Situation oft meine Scham berührt – besonders, wenn dabei auch alte Traumata und damit verbundene Verletzlichkeit aktiviert werden. Dies kann regelrecht eine Scham-Trance auslösen, insbesondere wenn mein Gegenüber mich auf meine Wirkung aufmerksam macht. Meist geschieht das in einem ohnehin schon aktivierten Zustand, in dem sowohl das eigene als auch das Nervensystem des Anderen alarmiert ist.

In dieser Scham-Trance arbeitet mein tief verankertes Glaubenssystem auf Hochtouren:

  • „Ich bin falsch.“
  • „Ich mache immer alles falsch.“
  • „Ich bin zu viel.“

Diese Gedanken führen schnell in eine Art Opferhaltung: „Ich bin schuld an allem, mit mir stimmt etwas nicht.“ Das kann dazu führen, dass ich mich verteidige oder mich resigniert zurückziehe – und verstärkt gleichzeitig genau jene inneren Glaubenssätze, die mich immer wieder spüren lassen: „Ich bin nicht richtig, wie ich bin.“

Die Dynamik von unbewusster Energie in Beziehungen

  1. Ich lasse Dampf ab über ein bestimmtes Thema. Ich bin aktiviert und aufgeregt – oft ohne zu checken, ob mein Gegenüber emotional in der Lage ist, das mitzuhören.
  2. Meine Partnerin fühlt sich getriggert. Ihr Nervensystem schlägt Alarm, z. B. wegen lauter Eltern in ihrer Kindheit. Sie schaltet ab oder zieht sich zurück.
  3. Ich merke das und erhöhe unbewusst die Intensität, weil ich das Gefühl habe, sie wendet sich ab.
  4. Sie zieht sich noch mehr zurück – ein Teufelskreis.
  5. Ich kann mich an unzählige Situationen erinnern, in denen ich mich einsam und verloren fühlte, weil ich ja „nur“ reden wollte. Die ohnehin vorhandene toxische Scham („Irgendwas stimmt nicht mit mir“) wird weiter angeheizt. Das Ergebnis ist oft Einsamkeit, das Gefühl von „Es ist eh immer meine Schuld“, und eine tiefe Verlorenheit in mir.

Zwei Realitäten halten können

Solange ich mich weigere, die Wahrnehmung meines Gegenübers gelten zu lassen und nur in meiner subjektiven Empfindung festhänge, kann keine Verbindung entstehen. Dann verteidige ich meine Realität, anstatt Verantwortung für meine Wirkung zu übernehmen.

Und hier zeigt sich die wirklich tragische Komponente: Manchmal laufen wir mit einer Art „Wolke“ oder „Energiefeld“ um uns herum durch die Welt, das genau die Realität erschafft, die wir eigentlich auflösen wollen. Wenn der Fokus auf unserem Mangel liegt und wir unbewusst erwarten, dass das Gegenüber ihn stillt, kreieren wir unbeabsichtigt Distanz statt Nähe.

„Scham ist das Gefühl, dass wir nicht liebenswert und nicht gut genug sind – und sie kann uns in die Isolation treiben und auch dort halten.“

Verantwortung statt Scham: Wie kann das aussehen?

Wie verändere ich meine Ausstrahlung?

  • Selbstreflexion: „Vielleicht bin ich lauter, drängender oder fordernder, als ich es selbst merke.“
  • Offenheit für Feedback: „Ich sehe, dass du dich zurückziehst. Kannst du mir sagen, wie das bei dir ankommt?“
  • Kein Drama, sondern Neugier: „Ich möchte lernen, wie ich mich anders ausdrücken kann.“
  • Erinnern, dass Ursache nicht gleich Schuld ist: Verantwortung übernehmen, ohne sich selbst zu verurteilen.

So kann aus einem unbewussten Drama eine bewusste Begegnung werden, in der beide Seiten Raum haben – auch für Verletzlichkeit und das Zusammenspiel von Trauma und Nervensystem.

Fazit: Gefühle, Energie und die Kunst der Perspektivübernahme

Ja, es ist anstrengend und herausfordernd, sich einzugestehen, dass wir oft nicht sehen, wie unsere Energie bei anderen ankommt. Emotionale Reife könnte bedeuten, diese Unklarheiten und Rückmeldungen anzunehmen, ohne in Scham zu versinken oder uns aus der Verantwortung zu stehlen.

  • Verantwortung: „Ich bin bereit, das Feedback zu hören und meine Wirkung zu prüfen – auch wenn es wehtut.“
  • Schuld und Scham: „Ich bin falsch und kann sowieso nichts richtig machen.“

Wenn wir lernen, zwei Realitäten nebeneinander stehen zu lassen, entsteht Raum für Verbindung, Verständnis und Heilung. Gerade wenn wir uns einsam und unverstanden fühlen, lohnt es sich, innezuhalten: „Welche Energie bringe ich gerade in den Raum – und wie kann ich dafür Verantwortung übernehmen?“

„Du bist nicht schuld an deinen Prägungen, aber du bist verantwortlich dafür, wie du heute damit umgehst.“

Schlussgedanke nach Thomas Hübl

Thomas Hübl weist in seinem Buch Attuned auf einen Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit und Verantwortung hin:

„Availability is the foundation of responsibility – the ability to respond. One requires the first to accomplish the second. Your capacity to respond to another from your authentic core depends on your level of availability.“

Sinngemäß bedeutet das: Verfügbarkeit (innerlich präsent, ansprechbar und reguliert zu sein) ist die Grundvoraussetzung dafür, in Verantwortung zu gehen. Ohne innere Präsenz keine echte Beziehung.

Genau darin liegt die Essenz: Verantwortung zu übernehmen heißt, sich offen und empfänglich zu machen – für uns selbst, für den anderen und für den Raum zwischen uns.

Weiterführende Gedanken oder Fragen (FAQ)

Wie kommuniziere ich meine Energie richtig?

Es könnte helfen, Feedback von Vertrauenspersonen einzuholen und im Selbstdialog zu erkunden, was tatsächlich bei anderen ankommt.

Wie kann ich entdecken, welche Energie ich wirklich in einen Raum bringe?

Ein möglicher Weg ist, innere Zustände wahrzunehmen und im Sinne von Trauma verstehen die Muster dahinter zu erkennen – statt sie kontrollieren zu wollen.

Was kann ich tun, wenn mich jemand auf meine Wirkung hinweist und ich sofort in Scham kippe?

Achte auf den Atem, lokalisiere Anspannung im Körper und betrachte Feedback als Einladung, nicht als Urteil.

Wann sollte ich mir professionelle Unterstützung suchen?

Wenn dich das Thema wiederkehrend beschäftigt, könnte Coaching oder Therapie hilfreich sein.

Werde zum Freund deines Nervensystems

Gerade in all diesen Beispielen zeigt sich, wie entscheidend es ist, Freundschaft mit unserem eigenen Nervensystem zu schließen. Meine NEURO-Buddy-Methode begleitet dich dabei, dein Nervensystem besser zu verstehen und achtsam zu erkennen, welche Energie du wirklich ausstrahlst.

Wenn du mehr erfahren möchtest oder gemeinsam herausfinden willst, wie dein Nervensystem auf deiner Seite sein könnte, melde dich gerne bei mir.

Herzlichst
Micha Madhava

Hier schreibt...

Bild von Micha Madhava -

Micha Madhava -

über Trauma, Beziehung und das Nervensystem – für eine traumainformierte Gesellschaft und eine wohlwollende Kultur des Miteinanders.

Meine Texte wachsen aus der Überzeugung, dass Liebe das grundlegende Design des Lebens ist – und dass unser Nervensystem die Sprache ist, in der dieses Design spürbar wird.

Ich schreibe, um Differenzierung zu ermöglichen – in einer Welt, die viele von uns überfordert, emotional fragmentiert oder in Anpassung zwingt.
Meine Impulse laden ein, zurückzufinden: in Kontakt, in Selbstwahrnehmung, in Beziehung.
Denn was uns geprägt hat, muss nicht bestimmen, wie wir leben.

Meine Vision ist eine Gesellschaft, in der Beziehungskompetenz selbstverständlich wird – in Partnerschaft, Elternschaft, Freundschaft und im sozialen Gefüge.
Je besser wir unsere Biologie verstehen, desto tiefer können wir lieben.

Liebe ist das Design. Das Nervensystem ist die Sprache. Integration die Richtung.

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