Die Crux mit der eigenen Energie: Zwischen Verantwortung, Scham und Verletzlichkeit
Einleitung – Warum diesen Artikel lesen?
Vielleicht kennst du Situationen, in denen du das Beste geben möchtest – und trotzdem kommt beim Gegenüber etwas ganz anderes an. Dieser Artikel zeigt dir, dass Ausstrahlung verändern nicht Performanz bedeutet, sondern gelebte Energie, die spürbar wird, wenn wir Verantwortung übernehmen und Scham als Schutzreaktion würdigen. In einer traumasensiblen Perspektive liegt darin eine Brücke zu echter Verbindung.
Wenn hier von Scham die Rede ist, dann geht es ausdrücklich um toxische Scham – jene Form, die wie eine Identitätsabwertung wirkt und uns in Rückzug, Starre oder Abwehr führen kann. Sie unterscheidet sich deutlich von gesunder Scham, die eher als momentanes Gefühl von Peinlichkeit auftritt und uns Orientierung in sozialen Situationen gibt. Diese Unterscheidung ist wesentlich, um die Dynamiken im Artikel richtig einzuordnen.
Ausstrahlung entsteht dort, wo Nervensystem-Regulation und Selbstreflexion zusammenfinden. Hier geht es darum zu verstehen, wie Intention und Wirkung auseinandergehen, warum Scham in Beziehungen Dynamiken verkompliziert – und wie du deine Präsenz so ausrichtest, dass Nähe wieder möglich wird, ohne dass du dich verstellen musst.
Eine herausfordernde Lektion
Eine der schwierigsten Lektionen, die ich in meinem persönlichen und beruflichen Leben (als Betroffener und Therapeut) lernen musste (und wahrscheinlich immer noch lerne), ist folgende:
Wir sind zu 100 % dafür verantwortlich, welche Energie wir in einen Raum bringen – unabhängig davon, was wir glauben, dass wir ausstrahlen.
Mit Ausstrahlung verändern meine ich nicht Performanz, sondern die Energie, die andere in uns spüren.
Hier liegt eine enorme Herausforderung: Wir können unsere Energie nicht ständig bewusst kontrollieren, weil vieles (oder das meiste) unbewusst geschieht. Und es ist natürlich auch überhaupt nicht sinnvoll und zielführend, unsere Energie kontrollieren zu wollen. Viel wichtiger ist es, unsere energetischen Zustände als das zu erkennen, was sie sind – auch in Bezug auf unsere Verletzlichkeit und die Auswirkungen vergangener Traumata. Wenn wir bemerken, wie wir energetisch „aufgeladen“ sind, können wir besser einschätzen, was wir wirklich gerade aussenden – und wie sich das auf andere und deren Nervensystem auswirkt.
Doch was passiert, wenn meine Intention eine ganz andere ist als das, was beim Gegenüber ankommt?
Wenn Intention und Wirkung auseinanderklaffen: Ausstrahlung verbessern beginnt mit Wahrnehmung
Wie erkenne ich, welche Energie ich ausstrahle?
Stell dir vor, ich formuliere nur „harmlos“ ein Bedürfnis oder einen Wunsch. Doch energetisch schwingt da vielleicht etwas ganz Anderes mit:
- Passiv-aggressive Kritik
- Eine unbewusste Forderung
- Ein unterschwelliges „Du solltest dich gefälligst anders verhalten!“
Ich glaube jedoch fest, ich hätte lediglich mein Bedürfnis ausgedrückt. Im Gegenüber löst diese Energie womöglich Stress, Verteidigung oder Widerstand aus – und ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich fühle mich abgelehnt, nicht gesehen und unverstanden. Dabei übersehe ich meine eigene Verantwortung, nämlich dass ich möglicherweise genau diese Abwehrhaltung mit meiner Energie provoziere.
Die Ursache zu sein bedeutet jedoch nicht zwingend, schuld zu haben.
Perspektivwechsel: Scham in Beziehungen erkennen – Verantwortung übernehmen
Sich bewusst aus der Schamperspektive zu lösen und einen wohlwollenden, liebevollen Blick auf unser eigenes Verhalten zu werfen, war für mich persönlich eine meiner größten Herausforderungen. Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu begreifen, wie sehr meine unbewusste Ausstrahlung alte Wunden im Gegenüber berühren kann – und ich selbst in große inneren Not und Verzweiflung geriet, weil ich partout nicht verstand, was eigentlich geschah. Ich bemühte mich doch so sehr – und dennoch scheiterte ich immer wieder. Es war eine unfassbare Frustration.
Mein Lehrer Krish hat es mir unzählige Male erklärt, und doch gab es einen Teil in mir, der sich rigoros dagegen wehrte, das anzunehmen. Für mich und viele andere Menschen war das jahrelang sehr schmerzhaft.
Besonders in Liebesbeziehungen ist es extrem herausfordernd, wenn wir unwissentlich etwas aussenden, das den anderen verletzt oder seine Verteidigungsstrategien aktiviert – denn gerade diesem Menschen möchten wir beweisen, dass wir ihn lieben und dass er liebenswert ist. Wir sehnen uns danach, von ihm wirklich gesehen zu werden.
Genau hier liegt die essentielle Einladung: zu erkennen, dass unsere noch nicht transformierte Trauma-Energie etwas im anderen auslöst, das für ihn schmerzhaft ist. Und es ist ein schmaler Grat zwischen dramatischem Selbstvorwurf (Scham-Trance) und echtem Wohlwollen. „Ich kann sehen, dass ich unbewusst etwas aussende, das dir weh tut. Ich will daran arbeiten, denn ich liebe dich und möchte deine Grenzen respektieren.“
Der nächste Schritt besteht darin, in der Partnerschaft ein gemeinsames Commitment einzugehen: „Wir wollen alles dafür tun, diesen Mechanismus zu erkennen und zu transformieren.“ Wenn wir uns gemeinsam darauf einlassen, könnten wir den Schritt von der Scham ins Wohlwollen machen und echten Kontakt herstellen.
Wie Scham statt Verantwortung alles verkompliziert
Ich konnte an mir selbst beobachten, dass eine solche Situation oft meine Scham berührt – besonders, wenn dabei auch alte Traumata und damit verbundene Verletzlichkeit aktiviert werden. Dies kann regelrecht eine Scham-Trance auslösen, insbesondere wenn mein Gegenüber mich auf meine Wirkung aufmerksam macht. Meist geschieht das in einem ohnehin schon aktivierten Zustand, in dem sowohl das eigene als auch das Nervensystem des Anderen alarmiert ist (vielleicht ist der andere verärgert, verletzt oder gestresst).
In dieser Scham-Trance arbeitet mein tief verankertes Glaubenssystem auf Hochtouren:
- „Ich bin falsch.“
- „Ich mache immer alles falsch.“
- „Ich bin zu viel.“
Diese Gedanken führen schnell in eine Art Opferhaltung: „Ich bin schuld an allem, mit mir stimmt etwas nicht.“ Das kann dazu führen, dass ich mich verteidige oder mich resigniert zurückziehe – und verstärkt gleichzeitig genau jene inneren Glaubenssätze, die mich immer wieder spüren lassen: „Ich bin nicht richtig, wie ich bin.“
Die Dynamik von unbewusster Energie in Beziehungen
Um das greifbarer zu machen, möchte ich ein Beispiel aus meinem persönlichen Leben erzählen:
- Ich lasse Dampf ab über ein bestimmtes Thema (z. B. Politik). Ich bin aktiviert und aufgeregt – und oft passiert das, ohne zu checken, ob mein Gegenüber gerade emotional und nervensystemseitig in der Lage ist, das mitzuhören.
- Meine Partnerin (oder das Gegenüber) fühlt sich schnell getriggert. Ihr Nervensystem schlägt Alarm, weil sie in ihrer Kindheit z. B. ein Elternteil hatte, das sich ständig lautstark beklagte – was in Verbindung mit ungelösten Traumata zu einer verstärkten Verletzlichkeit führen kann. Lautstärke oder heftige Energie bedeuten für sie unmittelbare Gefahr. Sie schaltet ab oder zieht sich zurück.
- Ich merke das und erhöhe unbewusst die Intensität meiner Energie, weil ich das Gefühl habe, sie „verschwindet“ oder wendet sich ab.
- Sie zieht sich noch mehr zurück – ein Teufelskreis.
Ich kann mich an unzählige Situationen erinnern, in denen ich mich schrecklich einsam und verloren fühlte, weil ich ja „nur“ reden wollte und mich nicht verstanden fühlte. Die ohnehin vorhandene toxische Scham („Irgendwas stimmt nicht mit mir“) wird weiter angeheizt. Das Ergebnis ist oft Einsamkeit, das Gefühl von „Es ist eh immer meine Schuld“, und eine tiefe Verlorenheit in mir.
Zwei Realitäten halten können
Solange ich mich weigere, die Wahrnehmung meines Gegenübers gelten zu lassen und nur in meiner subjektiven Empfindung festhänge, kann keine Verbindung entstehen. Dann verteidige ich meine Realität, anstatt Verantwortung für meine Wirkung zu übernehmen.
Und hier zeigt sich die wirklich tragische Komponente: Manchmal laufen wir mit einer Art „Wolke“ oder „Energiefeld“ um uns herum durch die Welt, das genau die Realität erschafft, die wir eigentlich auflösen wollen. Wir sind auf der Suche nach Verbundenheit und wollen, dass unsere Bedürfnisse gesehen werden. Doch wenn der Fokus dabei überwiegend auf unserem Mangel liegt und wir unbewusst erwarten, dass das Gegenüber diesen Mangel stillt, kreieren wir unbeabsichtigt Distanz statt Nähe.
Brené Brown formuliert es sinngemäß so:
„Scham ist das Gefühl, dass wir nicht liebenswert und nicht gut genug sind – und sie kann uns in die Isolation treiben und auch dort halten.“
Verantwortung statt Scham: So veränderst du deine Ausstrahlung – praktisch & nervensystemfreundlich
Wie verändere ich meine Ausstrahlung?
- Selbstreflexion: „Aha, es scheint etwas in meiner Energie zu sein, das mein Gegenüber ängstigt oder triggert. Vielleicht bin ich lauter, drängender oder fordernder, als ich es selbst merke – und da spielt auch meine Verletzlichkeit eine Rolle.“
- Offenheit für Feedback: „Ich sehe, dass du dich zurückziehst. Ich ahne, dass dich meine aufgebrachte Art beunruhigt – möglicherweise in Verbindung mit vergangenen Traumata. Kannst du mir sagen, wie das konkret bei dir ankommt?“
- Kein Drama, sondern Neugier: „Ich möchte lernen, wie ich meine Bedürfnisse oder meine Aufregung anders ausdrücken kann, damit du besser verstehst, worum es mir geht.“
- Erinnern, dass Ursache nicht gleich Schuld ist: Ich könnte Verantwortung übernehmen, ohne mich selbst zu verurteilen.
So kann aus einem unbewussten Drama eine bewusste Begegnung werden, in der beide Seiten Raum haben – eine Begegnung, die auch die Verletzlichkeit und das Zusammenspiel von Trauma und Nervensystem anerkennt.
Fazit: Gefühle, Energie und die Kunst der Perspektivübernahme
Ja, es ist anstrengend und schmerzhaft, sich einzugestehen, dass wir oft nicht sehen (wollen), wie unsere Energie bei anderen ankommt. Doch emotionale Reife könnte bedeuten, diese Unklarheiten und schmerzhaften Rückmeldungen anzunehmen, ohne in Scham zu versinken oder uns aus der Verantwortung zu stehlen.
Verantwortung heißt: „Ich bin bereit, das Feedback zu hören und meine Wirkung zu prüfen – auch wenn es wehtut.“
Schuld und Scham hingegen lähmen uns: „Ich bin falsch und kann sowieso nichts richtig machen.“
Wenn wir lernen, zwei Realitäten (die eigene und die des Gegenübers) nebeneinander stehen zu lassen, entsteht ein Raum für echte Verbindung, Verständnis und Heilung. Gerade dann, wenn wir uns am meisten einsam und unverstanden fühlen, lohnt es sich, innezuhalten und wahrzunehmen: „Welche Energie bringe ich gerade eigentlich in den Raum – und wie kann ich dafür Verantwortung übernehmen?“
„Du bist nicht schuld an deinen Prägungen, aber du bist verantwortlich dafür, wie du heute damit umgehst.“
Schlussgedanke nach Thomas Hübl
Thomas Hübl weist in seinem Buch Attuned auf einen wesentlichen Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit und Verantwortung hin:
„Availability is the foundation of responsibility – the ability to respond. One requires the first to accomplish the second. Your capacity to respond to another from your authentic core depends on your level of availability.“
(Thomas Hübl, Attuned)
Sinngemäß bedeutet das:
Verfügbarkeit (innerlich präsent, ansprechbar und reguliert zu sein) ist die Grundvoraussetzung dafür, in Verantwortung zu gehen – also wirklich auf den anderen zu antworten, anstatt nur zu reagieren. Wenn wir selbst nicht verfügbar sind, stehen wir dem Gegenüber auch nicht zur Verfügung. Und ohne diese innere Präsenz kann keine echte Beziehung entstehen.
Genau darin liegt die Essenz: Verantwortung zu übernehmen heißt, sich offen und empfänglich zu machen – für uns selbst, für den anderen und für den Raum zwischen uns. Nur wenn wir uns verfügbar machen, könnten wir von Herzen antworten und in echten Kontakt treten.
Weiterführende Gedanken oder Fragen? (FAQ)
Wie kommuniziere ich meine Energie richtig?
Vielleicht hilft es, langsamer zu werden, kurze Pausen einzubauen und Ich-Botschaften zu nutzen. So wird die Intention klarer – und dein Gegenüber kann sich sicherer fühlen.
Wie kann ich entdecken, welche Energie ich wirklich in einen Raum bringe, ohne mich zu verstellen?
Du könntest ehrliche Rückmeldungen einholen und deinen Körper einbeziehen: „Was passiert im Brustkorb, im Bauch, in der Stimme?“ Authentizität entsteht, wenn du spürst, was gerade da ist, und es dosiert teilst.
Was kann ich tun, wenn mich jemand auf meine Wirkung hinweist und ich sofort in Scham kippe?
Achte auf Atem und Bodenkontakt. Vielleicht magst du benennen, dass Scham da ist – und dir Zeit geben, bevor du reagierst. So bleibt Beziehung möglich.
Wie kann ich mein Nervensystem regulieren und damit meine Beziehungs-Ausstrahlung verbessern?
Kurze Mini-Check-ins, sanfte Ausatmung, Blick im Raum schweifen lassen (Orientierung) könnten unterstützen. Co-Regulation in vertrauten Beziehungen wirkt oft stabilisierend.
Wann könnte professionelle Unterstützung sinnvoll sein?
Wenn sich Muster wiederholen und du alleine keinen Zugang findest, könnte ein Coaching oder eine Therapie hilfreich sein – besonders traumasensibel und nervensystemorientiert.
Dein nächster Schritt: Herz-Sharing GPT
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In meiner Erfahrung gehört das Herz-Sharing zu den wichtigsten Tools, um Intimität und Verbindung in Beziehungen nachhaltig zu stärken.
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5 Antworten
Hat mir weitergeholfen
Das freut mich zu hören. Danke fürs Feedback.
Sehr spannend. Danke
Danke für die Rückmeldung.
Danke für das Feedback.