Vom Spüren zur Wirkung: Innere Wahrheit in Beziehung mit emotionaler Verantwortung.
Warum dieser Artikel lesenswert ist?
Folgendes mag dir vertraut vorkommen: Du liest einen Satz, der auf den ersten Blick kraftvoll klingt. Und trotzdem entsteht in dir ein feines Unbehagen. Eine Spannung, die nicht laut ist, aber deutlich spürbar.
Solche Momente sind wertvoll. Sie zeigen uns, dass unter der Oberfläche einer scheinbar klaren Aussage mehr liegt. Ein Feld, das erforscht werden will.
Genau so ein Moment hat mich zu diesem Artikel gebracht. Ausgangspunkt war folgender Satz:
„Verantwortung zu übernehmen heißt, die Wahrheit in sich selbst zu suchen und nicht in dem, was andere sagen.“
Ein Satz, der viele Menschen vermutlich sofort anspricht. Auch bei mir war da zunächst Zustimmung. Und gleichzeitig eine leise Dissonanz.
Warum? Weil Wahrheit und Verantwortung zwei unterschiedliche Ebenen berühren — und weil es einen großen Unterschied gibt zwischen innen und außen.
Wo die Dissonanz entsteht
Der Satz wirkt auf den ersten Blick klar: Wahrheit liegt in mir, niemand im Außen kann sie bestimmen. Und ja – das ist für mich eine schlichte Tatsache.
Ich bin überzeugt, dass es hier eine tiefere Betrachtung braucht. In dieser Definition wird Wahrheit und Verantwortung einseitig in beziehung gesetzt. Und dadurch wird etwas Entscheidendes unsichtbar: Wahrheit ist nach innen gerichtet. Verantwortung ist das nicht.
Wahrheit ist eine innere Orientierung. Verantwortung ist eine Bewegung — nach innen und nach außen.
Wahrheit: nach innen gerichtet
Wahrheit kann niemand von außen definieren. Punkt. Sie ist das, was in uns spürbar ist, jenseits äußerer Zuschreibungen oder Bewertungen.
Wenn wir mit uns wirklich in Kontakt sind, brauchen wir unsere Wahrheit nicht zu verteidigen. Wir müssen sie nicht erklären, rechtfertigen oder behaupten. Sie ist einfach da.
Genau deshalb löst der Eingangssatz an sich keine Dissonanz aus. Er wird erst dann schief, wenn Verantwortung auf dieselbe Ebene gelegt wird, als sei sie ebenfalls ein rein innerer Prozess.
Verantwortung: keine Einbahnstraße
Bei Verantwortung ist das anders. Verantwortung ist keine Einbahnstraße.
Ich trage Verantwortung nach innen – also für den ehrlichen Kontakt mit meiner eigenen Wahrheit.
Und ich trage Verantwortung nach außen – dafür, welche Wirkung meine Energie im Gegenüber entfaltet und welche Realität dadurch entsteht.
Wenn ich hier von Verantwortung spreche, meine ich emotionale Verantwortung: die Bereitschaft, meine Energiesignatur (Ton, Tempo, Körpersprache, Stimmung) mitzusehen und ihre Wirkung ernst zu nehmen. In aktivierten Zuständen (oft subtil, von uns selbst nicht sofort bemerkt) senden wir erlernte Überlebensstrategien mit – auch wenn die Worte „richtig“ klingen. Genau dort verschiebt sich Wirkung, lange bevor Inhalte ankommen.
Diese doppelte Verantwortung erfordert Bewusstsein. Denn unsere Energie wirkt immer – ob wir das wollen oder nicht. Unsere ausgesendete Frequnez wird meistens nur unbewusst aber dennoch – gelesen, gespürt, beantwortet.
Viele von uns kennen die eigene Energiesignatur allerdings nur oberflächlich. Wir fragen selten aktiv nach Feedback. Wir hören selten zu, was im Resonanzraum tatsächlich ankommt. Und genau da beginnt die Schieflage.
„You are responsible for the energy you bring into this room.“
Du bist verantwortlich für die Energie, die du in diesen Raum bringst.
— Brené Brown · The Power of Vulnerability
Zwischen Innen und Außen: die Feedback-Schleife
Zwischen innerer Wahrheit und äußerer Verantwortung braucht es eine Feedback-Schleife:
- Was macht die Realität meines Gegenübers mit meiner inneren Wahrheit?
- Wie möchte ich daraus heraus reagieren, ohne die Wirkung zu ignorieren?
- Bin ich bereit, zwei Realitäten gleichzeitig zu halten?
Diese Schleife ist kein theoretisches Modell, sondern gelebte Beziehung. Sie ist das, was Verbindung trägt oder verhindert.
„Often, the tension is telling us to release our habits for a moment and lean into the unknown, the new, the liminal edge where emergence arises.“
Oft zeigt uns die Spannung, dass wir unsere Gewohnheiten für einen Moment loslassen und uns ins Unbekannte lehnen dürfen – dorthin, wo Neues entsteht.
— Thomas Hübl
Mini-Check-up (Resonanz statt Deutung)
- „Magst du mir spiegeln, wie du mich gerade erlebst?“
- „Wirkt das auf dich eher ruhig oder eher angespannt?“
- „Würdest du sagen, ich wirke eher reguliert oder eher aktiviert?“
- „Passen meine Worte zu dem, wie du mich spürst – oder fehlt dir Kontext?“
Die zwei Realitäten
Einer der größten Stolpersteine in zwischenmenschlichen Beziehungen ist genau dieser Punkt: Es gibt immer zwei Realitäten – meine und die des anderen.
Solange ich nur auf meiner Wahrheit bestehe, bleibt kein Raum für die andere. Dialog wird unmöglich. Beziehung wird zum Kampf um Deutungshoheit.
Und genau hier liegt die eigentliche Herausforderung: Verantwortung bedeutet nicht, meine Wahrheit durchzusetzen, sondern mit ihr in Beziehung zu treten.
Persönlicher Einblick
Ich kenne diesen Mechanismus sehr gut aus meiner eigenen Geschichte. Lange Zeit war ich überzeugt: „Ich kenne meine Wahrheit – und das reicht.“
Ich habe oft darauf bestanden, dass meine Wahrheit gesehen, anerkannt und bezeugt wird. Und genau das hat häufig verhindert, dass ich den Raum für die Realität des anderen offenlassen konnte.
In solchen Momenten war ich nicht in echter Verantwortung für meine Energie. Denn meine Energie sagte nicht: „Ich möchte mit dir in Beziehung sein.“ Sie sagte: „Erkenne meine Wahrheit an.“
Das ist ein entscheidender Unterschied. Und einer, der Beziehungen prägt — oft auf einer sehr feinen, unbewussten Ebene.
Beziehung entsteht dort, wo zwei Realitäten gehalten werden
Wenn ich meine eigene Wahrheit absolut setze, entsteht Trennung. Wenn ich sie in Beziehung bringe, entsteht Begegnung.
Beziehung ist kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess: Ich bringe meine Wahrheit in den Raum, du bringst deine. Und wir finden einen gemeinsamen Boden, auf dem beide Realitäten gehalten werden dürfen.
Das setzt voraus, dass ich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen — nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Für meine Wirkung, für die Resonanz, für das, was meine Energie im anderen auslöst.
Die Einladung: Verantwortung bewusst leben
Für mich ist das Entscheidende an dieser ganzen Auseinandersetzung nicht, den ursprünglichen Satz zu widerlegen. Sondern ihn zu vervollständigen.
Ja: Niemand im Außen kann meine Wahrheit definieren. Und: Verantwortung geht nach innen und nach außen – ausdrücklich als emotionale Verantwortung, die Wirkung und Energiesignatur mit einbezieht.
Wir dürfen uns immer wieder daran erinnern, dass es eine andere Realität gibt. Dass wir für unsere Energie verantwortlich sind. Und dass Beziehung nur dort entsteht, wo wir bereit sind, zwei Realitäten gleichzeitig zu halten, aus einem raum der Verletzlichkeit.
„In meinen Augen ist Verantwortung ein Bindeglied zwischen den eigenen Handlungen, den daraus folgenden Konsequenzen und dann der Haltung, die man dazu einnimmt.“
— Verena König · Kreative Transformation
Ein kleines Paradox zum Schluss
Und das eigentlich Paradoxe daran? Wenn ich wirklich in meiner Präsenz bin, dann habe ich gar nicht das Bedürfnis, meine Wahrheit zu behaupten. Dann wäre ein Satz wie der, mit dem das alles hier angefangen hat, gar nicht im Feld. Man könnte es also durchaus so deuten, das der Boden der inneren Wahrheit noch gar nicht erreicht ist.
Denn wenn ich wirklich in Kontakt bin mit mir, dann ist meine Wahrheit kein Statement, das verteidigt werden muss. Sie ist einfach da. Still. Klar. Spürbar.
Und genau darin liegt — zumindest in meinem Verständnis — die feine Kunst echter Verbindung.
Fazit
Wenn wir diesen Bogen noch einmal zurückspannen, dann zeigt sich ein roter Faden:
Wahrheit entsteht in uns.
Verantwortung entfaltet sich zwischen uns.
Wir haben gesehen, dass innere Wahrheit allein oft nicht trägt, wenn sie auf ein Gegenüber trifft. Dass Beziehung dort lebendig wird, wo wir Wirkung ernst nehmen, Resonanz einholen und bereit sind, zwei Realitäten zu halten. Und dass es dabei nicht um Perfektion geht, sondern um Bewusstheit. Immer wieder. Schritt für Schritt.
Genau deshalb ist das kein einmaliger Aha-Moment, sondern eine Praxis. Eine Haltung, die reifen darf. Und weil das oft Übung braucht, ist das Herz-Sharing für viele Menschen so wirksam: ein Raum, in dem wir genau diese Art von Präsenz, Feedback und emotionaler Verantwortung gemeinsam üben können.
👉 Wenn du dieses Ritual kennenlernen oder vertiefen möchtest, findest du hier alle Infos: Herz-Sharing Praxis
FAQ
Was genau meinst du mit „emotionaler Verantwortung“ – über klassische Selbstverantwortung hinaus?
Emotionaler Verantwortung liegt die Einsicht zugrunde, dass nicht nur Inhalte wirken, sondern auch unsere Energiesignatur (Ton, Tempo, Körpersprache, Stimmung). Sie könnte bedeuten, dass ich meine innere Wahrheit halte und gleichzeitig wahrnehme, wie meine Energie bei dir ankommt – und darauf bezogen Verantwortung übernehme.
Wie erkenne ich im Kontakt meine eigene Energiesignatur – gerade in aktivierten Zuständen?
Aktivierung zeigt sich oft subtil: beschleunigtes Sprechen, Druck im Brustkorb, enger Blick, „richtig klingende“ Worte bei gleichzeitigem Ziehen nach Bestätigung. Ein kurzer Mini-Check-up (Atmung spüren, Körpertonus wahrnehmen, Blick weiten) könnte helfen, das eigene Sendesignal einzuschätzen, bevor ich weiter spreche.
Woran merke ich, dass ich Wahrheit absolut setze statt in Beziehung zu bringen?
Typische Marker wären Sätze wie „So ist es“ oder „Du verstehst mich nicht“, ein innerer Drang, bezeugt zu werden, und wenig Interesse am Resonanzraum des Gegenübers. Wenn Dialog stockt, könnte ein Nachfragen („Wie kommt das bei dir an?“) den Wechsel zur Beziehungsebene einleiten.
Wie sieht eine alltagstaugliche Feedback-Schleife aus, ohne dass es nach „Therapiesprache“ klingt?
Schlank und konkret: „Wie erlebst du mich gerade?“, „Wirkt das eher ruhig oder angespannt?“, „Passen meine Worte zu dem, was du spürst?“ Ein bis zwei Fragen reichen oft; wichtig ist, die Antwort wirklich zu nehmen – nicht zu erklären, sondern kurz zu justieren.
Was bedeutet „zwei Realitäten gleichzeitig halten“ praktisch im Konflikt?
Meine innere Wahrheit bleibt bestehen und die deine ebenso. Halten könnte heißen: Ich fasse meine Perspektive knapp, spiegle deine in eigenen Worten zurück und suche dann eine Passform, statt Recht zu behalten. Ziel ist nicht Einigung um jeden Preis, sondern tragfähige Koexistenz.
Wie kann mir die Herz-Sharing Praxis konkret helfen?
Herz-Sharing bietet einen klaren Rahmen für Präsenz, Resonanz und Feedback. Es könnte dir ermöglichen, die eigene Energiesignatur feiner zu spüren, sichere Sprache zu finden und die Fähigkeit zu stärken, zwei Realitäten zu halten – wiederholbar, ritualisiert, alltagstauglich. Mehr dazu findest du unter Herz-Sharing Praxis